BigUp! Hattest du denn in Jamaika auch schon aktiv mit Musik zu tun?
Devon: Eigentlich nicht; ich war Bademeister! Ich war ein braver Junge und war nur als Gast in Diskotheken. Ich hatte nie das Gefühl, dass die Musik meine Bestimmung ist, obwohl ich mich auskannte und wusste, was läuft. Aber Mitglied in einem Soundsystem war ich vor meiner Zeit bei Pow Pow nicht. Allerdings wusste ich da von Anfang an, dass ich MC sein wollte - auf selecten hatte ich keine Lust, mir lag eher die Kommunikation mit der Massive. Erst habe ich mir damit schwer getan, aber es wurde immer besser. Es war halt alles aus dem Spaß an der Musik geboren!

BigUp! Wie und wann waren denn Eure ersten Partys? Und was für Publikum war da, denn so was wie eine „Reggae-Massive“ gab es ja noch nicht?
Ingo: Das stimmt. Die erste Party war im damaligen Rhenania. Das gehörte eher zur links-autonomen Szene, wodurch man den Raum günstig mieten konnte. Wir haben dann all unsere Platten, was noch nicht viele waren, zusammen geschmissen... Bei der ersten Party waren auch einige Live-Acts, z.B. die heutige Killin Riddim Section, als Shorty und Engin noch gesungen haben! Dann noch Scope, Chicken George, Rick Ski, Don Abi - wir hatten das ganze zwar als Reggae-Party bezeichnet, hatten aber noch gar nicht genug Reggae-Platten für einen ganzen Abend, so dass  wir auch HipHop gespielt haben. Dadurch wurde das ganze aber auch irgendwie zu einem großen Happening. Außerdem spielten wir nur reine „Tanzmusik“, also kein Bob Marley, kein Roots, sondern nur Dancehall und HipHop. Auf dem Flyer - damals noch handgemalt! - war eine Pistole, die auf den Betrachter gerichtet war. Um den Lauf herum stand „Pow Pow!“; ein Pow für Dancehall, eins für HipHop... Also Raum gemietet und einfach mal sehen, was geht... Insgesamt war es ein totaler Erfolg, ein supergeiler Abend - etwas chaotisch, weil so viele da waren und jeder mal was machen wollte, egal ob auflegen oder singen oder rappen. Danach war uns klar, das wir die nächste Party machen wollten. Das fand im Frühjahr statt; im Sommer haben wir dann auf den Poller Wiesen unsere ersten Partys draußen gemacht, komplett mit LKW etc. Für uns war wichtig, dass wir nicht von einem Club abhängig waren, sondern komplett unser eigenes Ding machen konnten - original jamaican soundsystem style! Club machte man damals quasi nicht... Wir haben dann auch angefangen, an den Wochenenden unser eigenes Soundsystem aufzubauen, Boxentürme zusammengeschraubt etc...

 

powpow movement


BigUp! Ist denn durch die Party bzw. durch den Flyer dann auch der Name „Pow Pow“ entstanden?
Ingo: Ja, genau. Der Flyer von der zweiten Party war dem ersten vom Layout sehr ähnlich, wir haben das dann auch „Pow Pow“ genannt - irgendwann stand dann halt nur noch „Pow Pow“, ohne Pistole, drauf. Als wir uns dann entschlossen haben, ein Soundsystem zu gründen - ursprünglich wollten wir ja nur eine Party machen, um unsere eigene Musik zu hören! - hat sich das daraus ergeben. Zu der Zeit, ca. 1992, bin ich dann auch das erste Mal nach Jamaika geflogen - zusammen mit Alfred (Backra), Chicken George und Tilmann. Da haben wir dann in einem ziemlich abgefuckten Studio in Montego Bay unsere ersten paar Dubs gevoict - das allererste war eine Combination von Tilmann, also Gentleman, mit einem Ghetto Girl namens Patricia. Die haben wir auch noch... Damals ist jeder Artist, der sich in Montego herumgetrieben hat, ins Studio gekommen, weil sich das Gerücht verbreitet hatte, dass da ein paar weiße Jungs seien, die Dubplates machen lassen wollten. Damals wurden die Dubplates noch direkt vom Mikrofon ins Plate geritzt, was oft dazu führte, dass auch Fehler mit eingeritzt wurden! In Montego Bay gab es dann noch eine Talentshow, zu der wir mit Chicken George gegangen sind. Die Jammys haben sich totgelacht über den Weißen mit dem albernen Namen; als Chicken George dann noch zur Band meinte ‚Gimme di Punanny riddim!‘, sind sie dann völlig ausgerastet und haben Forwards ohne Ende gegeben, wie ich es bis heute nicht mehr erlebt habe: Ein Weißbrot, das auf deren Sprache Musik macht! Tilmann hat schon gepennt, den haben wir dann auch noch geholt - der hat dann das gleiche gemacht und noch mal dieselbe Reaktion erzielt! Am nächsten Morgen waren wir dann das Stadtgespräch in Glenn Devon, was dazu geführt hat, dass wir von einem Soundsystem namens King-A-Tone eingeladen wurden. Das waren alte Jungs, die in den 60ern mal ein dicker Sound waren. Denen haben wir eine Flasche Rum mitgebracht und die haben uns dann, während wir uns mit denen volllaufen liessen, die ganzen alten Studio One Sachen gezeigt, uns an ihrem Foundation-Wissen teilhaben lassen und uns ihr Toasting gezeigt. Das war für uns alle ein ganz entscheidender Trip und hat uns im Nachhinein schon sehr geprägt.

BigUp! Hat diese Studio One- Session denn auch Euren Musikgeschmack geprägt?
Ingo: Ich habe mir bei dieser Session jeden einzelnen Tune aufgeschrieben - wirklich jeden! Aber trotzdem bin ich danach nicht soo auf Foundation abgegangen, das kam dann erst relativ spät. Bis dahin kannte ich kaum Studio One Sachen. Damals war halt Raggamuffin angesagt, die ganz schnellen Sachen aus England. Daddy Freddy hatte seine erste Platte gemacht; Shabba, Supercat, Ninjaman, diese ganzen Badman-Dinger - das hat uns viel mehr angesprochen. Wir waren ein reines Dancehall-Soundsystem. Dass wir das erste Mal Bob Marley gespielt haben, ist auch noch gar nicht so lange her...

BigUp! Devon, wie war das für dich, als die Jungs das erste Mal aus Jamaika zurückgekommen sind und Studio One „entdeckt“ hatten?
Devon: In erster Linie hat es mich gefreut, dass die Jungs überhaupt dahin gefahren sind und sich den Ursprung der ganzen Kultur angesehen haben! Glenn Devon ist nicht weit von meiner Heimat entfernt, ca. 2 km; ein wirkliches Ghetto. Das hat mich beeindruckt, dass sie nicht in irgendwelche Tourismus-Gegenden gefahren sind, sondern sich das echte, authentische Jamaika angesehen haben und total begeistert zurückkamen. Da wusste ich, dass sie das Ganze ernst meinten.
Ingo: Da, wo wir waren, in Montego Bay, gab es ja auch Tourismus. Wir sind auch immer wieder mal auf Deutsche gestoßen. Aber wir wollten wissen, wo die Musik herkommt, wir wussten ja, dass es „Ghetto-Musik“ ist, und diesen Ursprung wollten wir kennen lernen. Am ersten Abend haben wir ein paar Jungs kennen gelernt, die erfahren hatten, dass wir uns für die Musik interessieren, und nach ein paar Drinks haben sie uns dann auf einen Dance eingeladen. Wir also mit denen im Auto quer durchs Country gefahren, bis wir mitten in der Nacht in einer stockdunklen Stadt angekommen sind, mit Matschwegen statt Straßen. Da gab es dann nur eine funzelige Glühbirne, dafür aber riesige Boxentürme und einen wahnsinnigen Sound. Die Leute haben teilweise auf den Dächern getanzt. Wir mittendrin als Weißbrote, mit Schlappen und total dreckig vom Matsch... Kurzzeitig gab es dann noch ein wenig Trouble wegen unserer Hautfarbe - in diesem Moment,  und dann noch Jahre später einmal in New York hatte ich wirklich kurzzeitig etwas Bedenken... Jedenfalls war das Ganze wie ein surrealer Traum und eine ziemliche Erfahrung.